Zornige Götter Everestexpedition 1996 "Om mani padma hum...", " Oh du Kleinod auf der Lotosblume, bitte hilf uns, uns kleinen hilflosen Menschen! Oh Göttin Chomolungma, sei uns gnädig und lass uns wieder gesund zurückkehren! Zürne uns nicht, auch wenn wir dich in Deiner Ruhe stören, wenn wir den Everest, deinen Thron, besteigen! Sei uns gnädig! ... " Und noch ein paar Reiskörner geopfert und hoffen, dass es hilft, die Sherpas umzustimmen. Nun sind wir schon über 6 Wochen am fuße des Everest. Alles ist gut gelaufen am Anfang....... Wir, das ist eine Gruppe Bergsteiger aus Deutschland, die unter der Leitung von Ralf Dujmovits, einem erfahrenen Bergführer aus Deutschland, den Everest besteigen wollen mit 8848 m, der höchste Berg der Welt. Einige auch den Lhotse ( 8501 m) und den Nuptse, 7861 m, der erst einmal von Norden bestiegen worden ist. Die Gruppe besteht aus 15 Personen, 13 Männer und 2 Frauen, davon 2 Österreicher, ich und ein Bergführer aus Kitzbühl. Das Team ist sehr stark, sind doch Teilnehmer darunter, die schon auf 3 8000 gestanden sind und auch schon den K 2 bezwungen haben. Am 18.August fliegen wir von Frankfurt aus nach Kathmandu und von dort mit alten russischen Armeehubschraubern nach Lukla im östlichen Teil Nepals. Von Lukla ( 2804 m) aus marschieren wir durch ein enges Tal, das von einem wilden Fluss durchbraust wird, über viele Hängebrücken nach Namche Bazar, dem Sherpadorf, weiter zum Kloster Tengboche, das vor einigen Jahren abgebrannt ist und wieder aufgebaut wurde. Links und rechts des Tales ragen eisige Bergriesen auf, wie der Thamserku, Kantegra oder die Ama Dablam, für viele der schönste Berg der Welt. Die Vegetation wird immer spärlicher. Ist man am Beginn durch Tannenwälder gegangen, gibt es nun ab Pheriche ( 4243 m) nur mehr Almweiden, auf den die Yaks grasen, Bergblumen, die sich in geschützten Winkel hinter Felsen verstecken und schließlich nur mehr Steine, Felsen und Eis. Die letzten bewohnten Häuser sind in Gorak Shep, von wo wir auf den Kalar Patar steigen ( 5542 m) und einen herrlichen Blick auf das gesamte Everestpanorama mit Lhotse uns Nuptse haben. Im Basislager ist alles schon vorbereitet und wir können nach einigen Akklimatisationstagen in den berüchtigten Khumbu Eisbruch einsteigen. Er soll einige Meter pro Tag wandern und es gilt über 50 Leitern zu balancieren und etliche Steileisaufschwünge zu überwinden und das alles mit schwerem Rucksack. Endlich in Lager 1 auf 6100 m angelangt heißt es Schnee schmelzen und trinken, trinken, trinken. Dann wieder absteigen ins Basislager, auf 5400 m, um Kräfte zu sammeln. Dann wieder aufsteigen auf Camp 1 und weiter durch Western CWM nach Camp 2 in 6500. Riesige Querspalten sind zu umgehen, und 3 Lawinenkegel, auf die in regelmäßigen Abständen Lawinen vom Nuptse und Everest abfahren, zu überschreiten. Das letzte Stück zu Camp 2 kostet alle Kraft und die endlose Moräne nimmt kein Ende. Aber auch das schaffen wir, obwohl tagsüber die Sonne in das enge Tal brennt und der Schweiß aus allen Poren fließt, aber sobald die Sonne sich hinter Wolken versteckt, es eiskalt wird. Die Sherpas versichern die Lhotseflanke mit Fixseilen und bringen Material in Lager 3. Alles läuft bestens und wir warten auf den Gipfelsturm. Und dann der 18.September. Bei der Nuptse Mannschaft geht nichts weiter, gerade die Zelte für das Lager am fuße der Eisflanke sind aufgebaut. Da überredet unser Expeditionsleiter seinen Kletterfreund Axel, mit ihm im Alpinstil auf den Nuptse zu gehen. Um 2 Uhr sind sie am Gipfel, beim Abstieg jedoch geht Ralf voraus, und lässt Axel alleine absteigen. Dieser stürzt dann in der Finsternis 50 m über dem Lager ab und liegt die ganze Nacht 20 m neben dem Zelt im Freien. Ein Wunder, dass er noch lebt, die Finger sind jedoch steifgefroren. Alle in Camp 2 brechen sofort zu einer Rettungsaktion auf und tragen ihn ins Lager, wo ich ihm sofort literweise Infusionen anhänge und die notwendigen Medikamente spritze. Er hat auch Serienrippenbrüche, einen Schlüsselbeinbruch, Köchelbruch und eine schwere Gehirnerschütterung. Der Hubschrauber kann in 6500 m Höhe nicht landen, so muss der arme Kerl im Schlafsack über Leitern und Gletscherspalten bis ins Basislager hinuntergebracht werden, wo er dann nach Kathmandu geflogen wird. 3 Tage später .... Ich bin mit 2 Freunden im Lager 3 auf 7500 m Höhe in der Lhotseflanke. Die beiden steigen in der Früh ab, ich möchte noch bis zu den gelben Bändern gehen. Während ich noch im Zelt bin, ein Rauschen, Rumpeln und Dröhnen.. Eine riesige Lawine braust die Lhotseflanke hinunter, Schneeknollen fallen auf das Zelt und stauben es ein. Da fängt ein Japaner zu weinen an.. 3 Teilnehmer sollen mitgerissen worden sein. Ich steige ab. Aber die beiden Menschen, welche die Lawine ausgespuckt hat, sind tot. Der französische Expeditionsarzt, der mir noch bei der Versorgung von Axel geholfen hat und der Sirdar ( Chef) der koreanischen Sherpas. Den dritten, Lobsang Jangbu, der die anderen noch vor der Lawine gewarnt hat, finden wir nicht. Ihn hat Chomolungma behalten, er hat schon viermal ihre Ruhe gestört.. 4 mal stand er schon am Gipfel des Everest. Die Leichen werden ins Basislager gebracht und im Kloster Dengboche verbrannt. Der Lama ( Klosterabt) von Dengboche sieht eine schlimme Zukunft und warnt die Sherpas wieder aufzusteigen, denn ... Chomolungma, die Göttin des Everest ist zornig! .. Im Frühjahr sind schon 11 Menschen am Everest gestorben, jetzt drei und ein Schwerverletzter. Die Sherpas streiken, sie wollen nicht mehr weitergehen und wir müssten alles Material auf Camp 4 in 8000 m Höhe tragen. Mit schweren Rucksäcken, Zelte, Matten, Essen, Ausrüstung, Sauerstoffflaschen... vier mal in einer Woche auf 8000 m und dann auf den Gipfel.. unmöglich. Also beten wir, opfern wir und hoffen die Sherpas umzustimmen. Es gelingt. Sie steigen wieder auf. Aber Chomolungma, die Berggöttin ist wirklich zornig. Das Wetter schlägt um, es beginnt zu schneien, durch hüfttiefen Schnee flüchten alle ins Basislager und warten auf Wetterbesserung. Aber die Göttin schickt eine riesige Lawine vom Pumori, die fast bis ins Basislager kommt und zum Schluss donnert noch eine mächtige Eislawine hinter unserem Lager in der Nacht von der Everestwand. Die Druckwelle zerstört Zelte, Lager und auch die Altäre, welche die Sherpas errichtet haben um die Göttin friedlich zu stimmen. Aber die Göttin ist zornig. Es ist Mitte Oktober, die Winterstürme haben eingesetzt und jeden Tag Schneefall. Eine Besteigung ist nicht mehr möglich. Wir müssen schweren Herzens unsere Sachen zusammenpacken und die Heimreise antreten. Monatelanges Trainieren, Sparen, Vorbereitungsarbeiten, Motivation, Zeit, Urlaub .. Alles eingesetzt und das Ziel nicht erreicht. Denn wie glauben die Sherpas: Wenn Chomolungma ärgerlich ist, lässt sie niemanden auf ihren Thron steigen und nimmt an dem Menschen furchtbare Rache. Die Götter waren zornig! Dr.Dagmar Wabnig, Wolfsberg, Expeditionsärztin